Der Erich-Mühsam-Preis, der alle zwei Jahre für »Werke im Sinne Mühsams« vergeben wird, wurde
in diesem Jahr Mumia Abu-Jamal zugesprochen. In einer Feierstunde am 27. Mai 2001 im Lübecker
Buddenbrook-Haus wies Sabine Kruse, 1. Vorsitzende der Erich-Mühsam-Gesellschaft, in ihrer
Begrüßung darauf hin, daß Erich Mühsam, den die Nazis 1934 folterten und ermordeten, sich wie
Abu-Jamal zeit seines Lebens gegen Krieg, Faschismus und Todesstrafe eingesetzt hat. Mühsam
schrieb »Staatsräson«, um gegen die geplante Hinrichtung der anarchistischen Arbeiter Sacco und
Vanzetti in den USA zu protestieren.
Ein anderer, der als Jugendlicher an der weltweiten Kampagne für Sacco und Vanzetti teilnahm, ist Peter Gingold. Stellvertretend für Abu-Jamal nahm er in Lübeck den Preis entgegen. Als Widerstandskämpfer war er von den Nazis zum Tode verurteilt worden und seinen Henkern nur knapp entkommen. Anstelle der wöchentlichen Kolumne dokumentiert jW die Danksagung Mumia Abu- Jamals und Auszüge aus der Laudatio von Rolf Becker (IG Medien Hamburg).
Mumia Abu-Jamal: Ona Move
Es ist mir eine Ehre, im Namen eines radikalen Menschen und für die Verteidigung radikaler Ideen
den Erich-Mühsam-Preis verliehen zu bekommen. Dieser Preis zeigt, daß die Herzen radikaler und
revolutionär gesinnter Menschen überall auf der Welt für ganz ähnliche Werte schlagen - für Hoffnung,
für Widerstand und für Befreiung.
Angesichts der neuen globalen Weltordnung könnte man denken, die großen Probleme der
Menschheit seien gelöst und alles wäre gut. Aber nichts ist weiter von der Wirklichkeit entfernt als
das.
Sowohl in den Metropolen dieser Welt und an ihren Peripherien als auch in jenen Erdteilen, die wir die Dritte Welt zu nennen pflegten, wird das Leben durch Armut, Mangel und staatliche Unterdrückung verkrüppelt und der menschliche Geist zerfressen und zermalmt. Die neue globale Weltordnung wird errichtet zum Nutzen des Kapitals, nicht nach den Bedürfnissen der Mehrheit. In diesem Geist nehme ich den Erich-Mühsam-Preis gerne an, in der Hoffnung, daß der Widerstand gegen das Imperium hell auflodert und immer stärker wird. Ich danke Euch.
Ona Move.
Long Live John Africa.
Aus der Todeszelle
Mumia Abu-Jamal
9 Uhr 43 ist es jetzt in seiner Zelle, ein weiterer Tag zwischen Leben und Tod hat eben für ihn begonnen, am 4. Juli werden es 19 Jahre sein, seit er 1982 verurteilt wurde. 19 Jahre, nicht nur ausgeschlossen von allem, was für uns Leben ausmacht - »Einen meiner Enkel habe ich im Gerichtssaal zum ersten Mal gesehen«, schreibt er 1995. 19 Jahre Haft: für niemand nachvollziehbar, der sie nicht erleidet. Und 19 Jahre Todeszelle? Albert Camus hat 1961 versucht, in Worte zu fassen, was das bedeutet: »Um das rechte Verhältnis herzustellen, müßte die Todesstrafe gegen einen Verbrecher verhängt werden, der sein Opfer zunächst warnt, daß er es an einem bestimmten Tag auf schrecklichste Weise ermorden wird, und es von diesem Moment an viele Jahre lang in seiner Gewalt gefangenhält. Ein solches Ungeheuer wird man im privaten Bereich nicht finden.« Mumia Abu-Jamal ist anwesend, hier unter uns, lebt vor, was »die Kraft der Schwachen« bewirken kann, wie Erich Mühsam und viele andere aus der deutschen Arbeiterbewegung, die Widerstand geleistet haben noch im Angesicht des Todes. Laßt uns in unseren Bemühungen fortfahren, daß er ihr Schicksal nicht teilen muß - aber zugleich darauf hinweisen, daß die Summe aller Todesurteile in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg einen Bruchteil derer ausmachen, die zwischen 1933 und 1945 von nationalsozialistischen Richtern und Henkern im Namen des deutschen Volkes vollstreckt wurden.
Ohne den immer erneuten Hinweis auf diese Tatsache nähmen wir unserem Protest die Legitimation. »Die nachfolgenden Stimmen«, schreibt Mumia in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe von »Still Black - Still Strong, Überlebende des US-Krieges gegen schwarze Revolutionäre«, »die sich oft eher wie Reportagen von Kriegsberichterstattern anhören, kommen tatsächlich von einer Front, die sich vor Jahrhunderten herausgebildet hat - aus den verfluchten Tagen menschlicher Gefangenschaft und legalisierten Elends, aus Amerikas "besonderer Einrichtung", der Sklaverei und der nachfolgenden Apartheid in den USA.
Die Stimmen sind eine nachträgliche Erwiderung an den vollstreckenden Arm des Gesetzes der Sklavenhalterpeitsche, der Käfige, der Fußfesseln; ein Gesetz, das definiert hat, was Amerika für einige seiner dunkleren Einwohner bedeutet - für die sogenannten Staatsbürger, die de facto Gefangene sind. Amerika hat eine sehr unterschiedliche Bedeutung für viele Menschen, und für viele ist der Name zum Synonym für Freiheit geworden. Millionen Menschen im Innern der USA allerdings assoziieren mit dem Namen einen Knast, eine Schlinge, einen Baum, an dem der eigene Vater wie eine fremde Frucht gehangen hat - das völlige Gegenteil von Freiheit.
Die Stimmen in diesem Buch sind die Stimmen dieser Menschen, die verbalen Echos von Jahrhunderten, von Millionen, die im Zeitalter der Revolutionen ihren Platz an der Sonne gesucht haben.« An der deutschen Übersetzung von »Still Black - Still Strong« hat übrigens ein politischer Gefangener dieses Landes mitgearbeitet: Christian Klar, verhaftet im gleichen Jahr wie Mumia Abu-Jamal - aus Gründen allerdings, die so wenig vergleichbar sind wie die unterschiedlichen Bedingungen in Deutschland und den USA.
Wir, Kolleginnen und Kollegen der IG Medien Hamburg, haben ihn im Januar besucht und einen Eindruck davon bekommen, was 19 Jahre Haft, davon sieben Jahre Isolationshaft, bewirken können. Es wäre unaufrichtig, hier nicht daran zu erinnern und euch um Unterstützung der vielfachen Bemühungen um seine Freilassung und die der anderen Gefangenen aus der RAF zu bitten.