Wichtige Zeugin demontiert
Weitere brisante Entlastungsaussage im Fall Mumia Abu-Jamal. Verteidigung geht in Offensive.
Von Annette Schiffmann.
Seit im vergangenem Jahr das neue Verteidigerteam mit der Strategie angetreten ist, Mumia Abu-Jamals Unschuld zu beweisen, haben die Anwälte der Öffentlichkeit und den Gerichten einen Zeugen nach dem anderen präsentiert, deren aufsehenerregenden Aussagen eines gemeinsam ist: Sie belegen jenseits allen vernünftigen Zweifels, daß Mumia Abu-Jamal den Mord, für den er zum Tod verurteilt worden ist, nicht begangen hat.
Da ist das Geständnis von Arnold Beverly, der bezeugt, den Polizisten Daniel Faulkner im Auftrag der Unterwelt von Philadelphia in Zusammenarbeit mit hohen Polizeikreisen erschossen zu haben. Bundesrichter Yohn hat die Vernehmung des Zeugen abgelehnt.
Da ist die eidesstattliche Erklärung des Polygraphen-Experten Professor Dr. Honts, der Arnold Beverly einem Lügendetektortest unterzogen hat, dessen Ergebnis dieses Geständnis als richtig bestätigt. Yohn hat die Vernehmung Honts abgelehnt.
Da ist die Aussage des ehemaligen FBI-Undercoveragenten Donald Hersing, der genau zu der Zeit des Mordes an Faulkner im Polizeibezirk Philadelphia Center City beauftragt war, Untersuchungen wegen des Verdachts schwerer Korruption anzustellen, die mit der Verhaftung hoher Polizeibeamter endete, unter anderem der des Chefs der Mordkommission des Bezirks, dem Faulkner angehörte. Da ist die Erklärung des Journalisten und damaligen Polizeireporters Linn Washington darüber, wie er am frühen Morgen nach dem Mord den Tatort samt dem Fahrzeug von Mumia Abu-Jamals Bruder William Cook ungesichert und unbewacht vorfand.
Da ist die öffentliche Aussage der Zeugin Veronica Jones, die Polizei habe sie damals zwingen wollen, im Prozeß zu behaupten, sie habe Mumia schießen sehen, obwohl das nicht stimmte, und ebenso hätten sie ihre damalige Kollegin Cynthia White unter Druck gesetzt.
Auch diese Zeugen will Richter Yohn nicht anhören. Ihre Aussagen sollen samt und sonders dem "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Effektivierung der Todesstrafe" und seinen Zeitlimits zum Opfer fallen.
Nun hat sich Yvette Williams bei einem von Mumia Abu-Jamals Anwälten, Michael Farrell in Philadelphia, gemeldet und erklärt, sie wolle nach all den Jahren endlich eine Aussage machen. Seitdem der Fall Abu-Jamal im Dezember wieder in allen Zeitungen und im Fernsehen gewesen sei, halte sie ihr schlechtes Gewissen nicht mehr aus.
Williams war 1981 zusammen mit Cynthia White im Gefängnis. Die Prostituierte Cynthia White war im Prozeß gegen Mumia Abu-Jamal die wichtigste Belastungszeugin und hatte seinerzeit ausgesagt, sie habe gesehen, wie der Angeklagte den Polizisten Faulkner erschossen habe. Für alle weiteren Verhandlungen war Cynthia White dann verschwunden, und ist es bis heute geblieben.
Yvette Williams bezeugt nun, Cynthia White habe ihr damals, 1982, im Gefängnis immer wieder erzählt, sie habe im Zeugenstand gelogen, weil sie von der Polizei zu der Aussage gezwungen worden sei. Die Polizei, so White gegenüber Williams, habe ihr angedroht, andernfalls die gesamten gegen sie anhängigen Verfahren aufzurollen und sie für viele Jahre ins Gefängnis zu stecken. Sie habe sich entsetzlich gefürchtet und deshalb getan, was ihr gesagt worden sei. Aber Tatsache sei, daß sie von den gesamten Vorfällen in der Tatnacht definitiv überhaupt nichts gesehen habe, und daß sie an jenem Abend, wie so oft schon, mit Drogen vollgepumpt gewesen sei. Auf Williams Fragen hin, warum sie dann "so über diesen Mann (Mumia) lügen würde", hätte Cynthia immer schrecklich geweint und gesagt, sie hätte Todesangst vor der Polizei.
Yvette Williams hat ihre Aussage am 28. Januar vor einer Notarin in Philadelphia zu Protokoll gegeben und erklärt, vor Gericht aussagen zu wollen. Damit ist im Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal kein einziger Zeuge mehr übrig, dessen Aussage nicht grundsätzlich angefochten werden kann. Mit der Aussage von Yvette Williams geht die Verteidigung nun erneut in die Offensive. Sie hat am 6. Februar beim 3. Bundesberufungsgericht, der letzten Instanz vor dem US Supreme Court, einen Antrag auf die Zulassung neuer Berufungsgründe gestellt und kämpft damit weiter gegen die Ablehnung einer Wiederaufnahme des Verfahren durch Richter Yohn.
Währenddessen sitzt Mumia Abu-Jamal weiter nicht nur im Todestrakt, sondern - aufgrund des im Gefolge des 11. September verabschiedeten "Patriot Act" - auch noch unter verschärften Haftbedingungen. Trotz alledem verfaßt er unbeirrt seine Kolumnen, die auch weiterhin jeden Sonnabend in der jW erscheinen werden.