Palästinas Verzweiflung
Mumia Abu-Jamal über langfristige Folgen des Nahost-Konfliktes
Krieg wirkt sich verheerend auf das Leben, die Gesundheit, auf Hab und Gut der Menschen aus. Aber militärische Konflikte dezimieren auch die geistige Gesundheit von Individuen und von Gemeinschaften. Es ist dieses zweite, verborgene Charakteristikum, die Verletzungen des Geistes, der Seele, über das kaum gesprochen wird.
Noch weniger wird über den Einfluß gesprochen, den der Krieg auf die Armen und die Jugendlichen hat. Wie wirkt sich der militärische Konflikt auf die Unterdrückten, die Opfer von Vertreibung und Enteignung, die Verdammten aus?
Dr. Eyad Sarraj, ein palästinensischer Psychiater, schrieb schon vor einigen Jahren, daß die israelische Besatzung einen solch negativen Charakter und eine solch zerstörerische Wirkung auf die palästinensische Psyche hat, daß „nicht die Selbstmordattentate das merkwürdige Phänomen sind“, sondern „daß es so wenige sind“. Dr. Sarraj führte aus: „Ich glaube, daß sie ein Akt absoluter Verzweiflung sind und ein sehr ernstes Stadium des scheinbar immerwährenden Konfliktes markieren. Seit der Entwurzelung der Palästinenser im Jahr 1948, die durch den Terror der jüdischen Irgun und Menachem Begin ausgelöste wurde, haben wir nichts unversucht gelassen. Wir haben es mit Nasser und dem arabischen Nationalismus versucht, nur um 1956 eine Invasion in unserer zweiten Heimat in den Flüchtlingslagern erleben zu müssen. Nur die russische Drohung, London und Paris zu bombardieren, und die Entschlossenheit von Präsident Eisenhower haben dieser Besetzung ein Ende gemacht.“
Dann kam das Desaster des Arabisch-Israelischen Krieges von 1967, als Israel im Sechstage-Blitzkrieg die ägyptische Sinai-Halbinsel besetzte und den palästinensischen Arabern die Westbank und den Gaza raubte.
Weit mehr als dreißig Jahre haben die Palästinenser mit der militärischen Besatzungsmacht Israel leben müssen, die sie Nagba nennen. Sie haben Identitätskarten, Aufenthaltserlaubnisse, beschwerliche Einschränkungen im Inlandsverkehr, Passierscheine mit der Angabe „undefinierte Nationalität“ bei Reisen aus ihrem Gebieten hinaus und das hartnäckige Genörgel von Leuten, die sie für Ausländer sind und sich in alle Belange ihres Lebens einmischen, ertragen müssen.
Die Palästinenser selber mußten wie Fremde im Land ihrer Vorfahren leben, ein Land, das übersät ist mit israelischen Siedlungen, militärischen Checkpoints und großer Verzweiflung.
Für die Palästinenser waren alle Versuche, daran etwas zu ändern, vergeblich. Resolutionen der Vereinten Nationen verkünden ihr Recht auf Rückkkehr, ihr Recht auf einen eigenen Staat und das Ende der israelischen Besatzung, aber es änderte sich nichts.
Das Militär zerstört ihre Häuser mit Bulldozern, Scharfschützen erschießen Kinder, die Steine werfen. Palästinensiche Führer werden in ihren Häusern liquidiert, und F-16-Bomber zerreißen den Nachthimmel. Und aus dieser grenzenlosen Verzweiflung heraus zerfetzen junge Männer (und auch Frauen!) ihre Leiber im Tod. Ihr letztes Gebet?
Übersetzung: Jürgen Heiser