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Wessen Friede?
Kolumne von Mumia Abu-Jamal


Mumia Abu-Jamal schrieb diese Kolumne im August angesichts des gewaltsamen Vorgehens der israelischen Sicherheitskräfte gegen die Intifada in Palästina. Er beschrieb die Rolle der USA, ohne ahnen zu können, welche Folgen die US-Politik nur Wochen später für sein Land haben würde.

Millionen von Menschen schauen auf die Situation der Region, die der Nahe Osten genannt wird. Sie schauen auf diese Situation und werfen ihre Hände in die Höhe, als seien sie ihr hilflos ausgeliefert. Einige sagen, es sei eine "religiöse Fehde", andere lamentieren: "Sie kämpfen schon seit Tausenden von Jahren! Das geht schon so lange, da können wir gar nichts machen!"

Dies sind Entschuldigungen für das Stillhalten, gefördert durch die merkwürdige Art der Amerikaner, auf die Bibel zu vertrauen, als sei sie ein statisches Geschichtsbuch. Diese in den USA weit verbreitete Annahme ist mehr als ein Argument für die Nichteinmischung; sie ist ein Argument für die Aufrechterhaltung des Status quo.

Am meisten überrascht an dieser (falschen) Auffassung die Tatsache, daß die USA (neben Großbritannien) wahrscheinlich die Hauptverantwortung tragen für das Entstehen Israels und ganz bestimmt für seinen Fortbestand. Der Staat Israel ist eine der jüngsten Nationen der Welt und geht zurück auf das Jahr 1948. Wenigstens ein Drittel aller heute lebenden Amerikaner (vielleicht sogar die Hälfte) waren schon auf der Welt, als der Staat Israel seine Unabhängigkeit von Großbritannien und von seinen kolonialen Wurzeln erklärte. Die Tatsache, daß Millionen Amerikaner denken, es waren Tausende von Jahren anstelle von ein paar Jahrzehnten, wirft ein Licht darauf, welche Wirkung die Schulen und die Konzernmedien in den USA erzielen.

Der israelisch-palästinensische Konflikt entspringt nicht religiöser Feindschaft, sondern fundamentalen politischen und territorialen Differenzen. Als die anglophonen Auswanderer nach Amerika kamen (das heißt, vor Gründung der USA), betrachteten sie die eingeborenen, indigenen Völker sicherlich als "Heiden", aber das war nicht der wahre Grund für den entstehenden Konflikt. Die Weißen wollten das Land, auf dem die "Heiden" lebten, in Besitz nehmen. Selbst als einige tausend Indianer zum Christentum konvertierten und demzufolge als "Brüder Christi" und als Angehörige derselben Religion keine "Heiden" mehr waren, wurden sie dennoch rücksichtslos ihrer Wurzeln beraubt, die sie mit dem Land ihrer Vorfahren verband, und in eine Art inneres Exil auf ödem, unfruchtbaren Land geschickt, in die sogenannten "Reservationen". Die Nation der Cherokee wurde vor 150 Jahren militärisch aus dem Gebiet vertrieben, das jetzt Georgia heißt. Sie nannten diesen Exodus die "Fährte der Tränen", weil Tausende an Frost, Hunger und gebrochenen Herzen starben.

Die Triebfeder, die hinter dem wütenden Konflikt im Nahen Osten steckt, ist Land.

Einige werden jetzt fragen, aber warum dann ein solcher Haß? Warum diese abgrundtiefe Feindschaft? Auch hierauf finden wir die Antwort, wenn wir die Geschichte der USA und ihres Verhältnisses zu den eingeborenen, aboriginal Völkern untersuchen, die schon hier lebten, bevor sich die Europäer auf die Suche nach der sogenannten "Neuen Welt" machten. Als Christopher Kolumbus (Cristobal Colon) an jenen Inseln anlandete, die wir die Westindischen nennen, beschrieb er die Einwohner als "gütig", "freundlich" und mit ähnlichen Begriffen. In weniger als hundert Jahren wurde daraus in den nach Europa übermittelten Botschaften "Wilde", "Heiden" und "Barbaren".

Der israelische Schriftsteller Israel Shamir zitierte erst kürzlich die Ergebnisse der Umfrage einer israelischen Zeitung über die Gefühle, die ihre Leserinnen und Leser den Palästinensern entgegenbringen:

"Die in Jerusalem erscheinende russischsprachige Zeitung 'Direct Speech' fragte Hunderte russische Juden nach ihren Gefühlen gegenüber Palästinensern. Typische Antworten waren 'Ich könnte alle Araber umbringen', 'Alle Araber sollten eliminiert werden', 'Alle Araber sollten vertrieben werden' und 'Ein Araber ist ein Araber. Die müssen alle ausgemerzt werden'. Ich bin mir nicht sicher, ob eine Straßenumfrage im Berlin des Jahres 1938 vernichtendere Ergebnisse hervorgebracht hätte, obwohl die Idee der Nazis von der 'Endlösung der Judenfrage' erst 1941 aufkam." (Shamir, I., "The Failed Test", Socialist Viewpoint, Juni 2001, S. 31-32)

Die Tatsache, daß einige der Befragten gerade erst vor kurzem aus Rußland emigriert waren (denn erst seit knapp 20 Jahren durften Menschen von dort ausreisen), ist höchst alarmierend, da sie den Geist widerspiegelt, der Millionen Amerikanern nicht fremd ist. Wer das bezweifelt, sollte den Test machen und das fehlende Wort einsetzen: "Nur ein ..... Indianer ist ein guter Indianer. Amerikanern (ungeachtet ihres ethnischen Urspungs) kommt sofort ein bestimmtes Wort in den Sinn. Und das ist nicht gerade eine Liebeserklärung.

Die Bulldozer, die Heckenschützen, die F-14, die Panzer, die Uzis und die ganze Macht des israelischen Staates werden aufgeboten, um zu schaffen, was niemand so nennen würde, aber alle so meinen: "Lebensraum".

Obwohl die Vorfahren der Araber dort unter dem Ottomanischen Reich seit tausend Jahren gelebt haben, werden sie angesehen wie die Cherokee in Georgia um 1880 von den weißen Siedlern: als entbehrlich. Das ist der wahre Grund für den Konflikt, den Haß, die Verhöhnung. Und die Vereinigten Staaten, die eine Seite in diesem Konflikt unterstützen, während sie die andere ignorieren, können niemals ein fairer Schiedsrichter am Verhandlungstisch sein. Denn sie sehen in der einen Seite die jüngere Version von sich selbst und in der anderen die Indianer - die Fremden. Wen werden sie wohl immer bevorzugen? Wenn sie von "Frieden" reden, meinen sie "Schweigen!" Das Schweigen einer Fährte der Tränen.

Übersetzung: Jürgen Heiser Erschienen in der Berliner Tageszeitung junge Welt Die Kolumnen von Mumia Abu-Jamal erscheinen jeweils in der Wochenendausgabe der Tageszeitung junge Welt.